an die Zeit in Voßloch in der Waldstraße 5
Voßloch ist ein kleines Dorf in Schleswig-Holstein. Der Name stammt aus dem Plattdeutschen und bedeutet nur Fuchsloch.
Wer die Waldstraße bei „GOOGLE-MAP“ sich ansieht, der wird leicht feststellen, dass der Ort sich gewaltig verändert hat. Es ist in den letzten Jahrzehnten viel gebaut worden und hat das Gesicht der Waldstraße völlig verändert.
Ich bin im Jahre 1949 geboren und somit so alt wie die Bundesrepublik Deutschland. Meine Kindheit habe ich in dem kleinen Dorf Voßloch verbracht und wenn ich mich an bestimmte Dinge erinnere, dann gehen meine Gedanken wieder zurück an diesen Ort. Wenn ich meine Kindheit in den Jahren 1950/60 mit der heutigen Zeit vergleiche, dann ist es heute nur hektisch, laut und vom Konsum bestimmt. Durch die Corona-Pandemie im Jahre 2020 ist es für die heutige Jugend eine gewaltige Herausforderung. Alles wird durch das Internet bestimmt, ob Zeitungen, Filme oder Textnachrichten, die in sekundenschnelle um die ganze Welt rasen. Jeder hat einen virtuellen Kontakt mit virtuellen Menschen. Die wahren Gesichter und Persönlichkeiten sind so nicht mehr zu erkennen. Die Bilder sind bearbeitet und das Profil ist teilweise nur ein Fake. Auf diesem Wege ist eine richtige Freundschaft nur schwierig zu bilden. Nein, ich erinnere mich da lieber an die alten Kinderfreundschaften, das gemeinsame erleben im Wald. Gemeinsam auf die Bäume zu klettern, jeder hatte seine eigene Kletter-Buche. Aus heutiger Sicht war das nicht nur hochgradig gefährlich, wir hätten aus zehn bis zwanzig Meter vom Baum fallen können. Es ist aber keiner jemals vom Baum gefallen und so haben wir unseren Müttern die Sorgen um unser Leben erspart. War das eine schöne Zeit, die ganze Freiheit beim Spielen im Wald zu genießen. Höhlen bauen, auf der Lichtung auf dem Rücken liegen und die Sonnenstrahlen durch die Blätter flimmern zu sehen. Mit den großen Töchtern vom „Arschpauker“ im Wald kleine Mooshäuschen zu bauen, oder etwas mit dem ausgeborgten Küchenmesser von Schnauzi zu schnitzen. Holz dafür lag ja genug im Wald herum. Mit den Nachbarjungs Peter und Gerd , der Vater war mit einem Lungenschaden aus dem Krieg nach Hause gekommen und war ein Kriegsrentner und somit den ganzen lieben langen Tag zu Hause. Er hat uns Jungs vieles beigebracht, welche Pilze man sammeln konnte und von welchen wir die Finger lieber lassen sollten. Der hübsche Fliegenpilz nicht anfassen und weil er giftig ist auch nicht zertreten. Andere Tiere leben von den Pilzen, die für uns Menschen giftig sind. Aus heutiger Sicht hat er uns Kindern schon damals beigebracht, mit der Natur pfleglich umzugehen. Beeren sammeln und wilde Erdbeeren pflücken, Brombeeren sammeln oder gleich an Ort und Stelle essen. Abwaschen war im Wald so nicht das Richtige, es reichte völlig aus, die Beeren abzupusten. Es war damals noch nicht alles so schlimm und löste keine Allergie aus. Schnauzi hatte dann auch noch viele Wünsche an uns. Fliederbeeren waren angesagt, um für den Winter gegen Erkältung die Allzweckwaffe „Fliederbeersaft“ zu haben. Gegen einen großen Spankorb voller frischer Maronen-Pilze war sie niemals abgeneigt und wenn es zu viele waren, dann kamen sie für den Winter in das Weckglas. Sollten auch Steinpilze dabei sein, wurden diese nur für Hubert zum Abendessen gebraten. Für Kinder ist der Steinpilz nicht so gut, die essen lieber den Maronen-Pilz. Wir haben auch gelernt, wie man einen Flitze Bogen macht und die passen Pfeilen herstellt. Holz war ja genug da und das ausgeliehene Küchenmesser leistete ausgezeichnete Dienste.
Was war das doch für eine aufregende Zeit, wenn im Wald die Tommys ihre Manöver abhielten und wir versuchten uns mit den Soldaten ihrer Majestät zu verständigen. Wir konnten kein Englisch und die kein Deutsch. Mein Vater war zuerst Kriegsgefangener bei den Tommys (ja wir nannten sie damals so und es war nicht abwertend gemeint) mittags um 12 Uhr kam im Radio das berühmte Zeichen: Ding Ding Ding Dong hier die Nachrichten des Britisch Forces Network. Später ist er als Arbeitnehmer bei den Tommys geblieben. Er war Kfz-Elektromeister und bei der Armee ging vieles im elektrischen Bereich an den Fahrzeugen kaputt. Er hatte viel zu tun und seine Werkzeugsammlung war mit Ersatzteilen aller Art gut bestückt. Mein Lieblingswerkzeug war der Engländer, mit dem konnten man alle Schrauben und Muttern bearbeiten. Die englischen Maße passten nicht zu unseren Schrauben. (Der Engländer war ein verstellbarer Schraubenschlüssel. Und noch gleich das weitere wichtige Werkzeug war eine Eisen-Säge und Mottek). Erst später nach der Wende wurde wir von einem Polen erklärt, das ist auf Polnisch Hammer und Klamotten Kleidung bedeutet. Also zurück zu Hubert, meinem Vater. Er wurde von allen, auch von uns Kindern so genannt und gerufen. Unsere Mutter war für alle Lieschen und für uns Kinder hausintern Schnauzi. Das kam daher, weil Hubert für alle einen Spitznamen hatte. Ob es der Nachbar Knautschke war, oder der Arschpauker, Hulda die Neugierige und Hannes der Gröhlmoors. Da auf dem Lande auch immer was am Trecker elektrisch kaputtging, waren die Bauern am Samstag bei uns und Hubert mußte mal eben schnell etwas reparieren. Sonntags ging es bis mittags so weiter, aber dann war Freizeit. Sein Wahlspruch war „Schwarzarbeiter aller Länder vereinigt euch“ und das Geld konnten wir gut gebrauchen, denn wir waren drei Kinder und ein Halbbruder aus der ersten Ehe unserer Mutter. Über den Halbbruder kann ich leider nicht viel Gutes berichten und als er endlich aus dem Haus ging, war ich sehr froh. Meine Halbschwester war bereits verheiratet und wohnte in Lübeck. Sie kamen zu Besuch auf ihrem Motorrad. Es war immer eine schöne Zeit mit den beiden und auch später mit unseren Kindern. Die waren liebend gerne in den Ferien zu Besuch für einige Wochen in Lübeck, bei Gerda und Adi.
Wir lebten in einem Holzhaus im Stil der Schwedenhäuser, die Außenwände waren aus zwei Schichten mit Holzbrettern und im Zwischenraum war die Wand wohl mit Torf gefüllt. Es war im Sommer kühl und im Winter warm. Das Haus wurde im Krieg gebaut, da unsere Mutter in Hamburg ausgebombt wurde und dann schnell auf das Land umsiedeln mußte. Geheizt wurde das ganze Haus mit einem Küchenofen und einem kleinen Kachelofen im Wohnzimmer. Der Rest der Wohnung wurde nur durch offene Türen gewärmt. Schlafzimmer und Kinderzimmer waren daher im Winter recht kühl. Meine Erinnerung war, daß vom Dach die Eiszapfen vor dem Fenster hingen und die einfachen Glasscheiben mit wunderschönen Eisblumen geschmückt waren. Meine beiden jüngeren Brüder schliefen zusammen in einem Bett und wir beiden großen hatten jeder ein eigenes Bett. Im Laufe der Zeit hatten sich fremde Bewohner es sich in der Zwischenwand häuslich eingerichtet. Mal baute ein Vogel im Astloch der Außenwand im Frühjahr sein Nest und wir hörten dann das leise Gezwitscher der Jungen in der Wand. Gelegentlich baute eine Feldmaus ihr Nest in der Zwischenwand. Das war für die Maus jedoch keine gute Idee, denn meine Miezekatze stattete dem Eingangsloch öfter einen Besuch ab. Sie war dabei von einer großen Ausdauer. Mein Verhältnis zu unserer Katze war gerade im Winter besonders intensiv. Es war, wie zuvor erwähnt, im Kinderzimmer nicht warm und Miezekatze fand es bei mir unter der Decke ganz kuschelig warm. Immer Sommer war das Verhältnis eher distanzierter.
Da wir auf dem Lande lebten, hatten wir auch Hühner, Gänse und Jolanthe. Sie war ein normales Hausschwein, das aber von Hubert natürlich einen Spitznamen bekam, nämlich Jolanthe. Wir wurden nicht gute Freunde, sie wollte mich immer beim Füttern in die Hand beißen. Als Jolanthe an der Leiter im Herbst im Hof hing, fand ich es nur gerecht. So ein hinterlistiges Viech hatte nichts anderes verdient. Als Braten und Wurst hat sie uns jedoch ausgezeichnet geschmeckt.
Unsere Hühner waren mir sehr angetan. Das Füttern war meine Aufgabe und sie konnten sich auf dem Hof und dem großen Garten (ca. 1000 qm) frei bewegen. Sie haben die gewährte Freiheit nicht genutzt, um abzuhauen. Einmal im Winter, mit richtigem Schnee, saßen die fünf Hühner auf meinem Schlitten. Sie waren wohl schneeblind und wollten auch nicht davon runter und in den Stall gehen. Sie blieben auf dem Schlitten und ich zog mit den Hühnern auf dem Schlitten ins Dorf zum Kaufmannsladen. Der Laden war das Nachbarhaus von der Bäckerei Sass. Opa Strunck und seine Lebensgefährtin hatten einen typischen kleinen Kaufmannsladen und es gab immer bei einem Einkauf für mich einen kleinen Lolli dazu. Es gab ein Haushaltsbuch, wo er Einkauf festgehalten wurde und am Monatsende wurde alles auf einmal von Hubert oder Schnauzi bezahlt. Später habe ich mich bei Opa Strunck revanchieren können. Es brauchte immer eine Flasche Franzbranntwein aus der Apotheke in Barmstedt. Also rauf aufs Fahrrad und durch den Wald nach Barmstedt. Natürlich hatten das einige Dorfbewohner, das mit den Hühnern, mitbekommen und es wurde mir noch Jahre später gerne wieder unter die Nase gerieben. Du bist der, der mit dem Schlitten seine Hühner im Dorf spazieren fährt.
Schulzeit mit Gabi, meine erste große Jugendliebe
Es war dann für mich die Zeit gekommen, um in die Schule zu gehen. Die Dorfschule war in Bockholt-Hanredder, eine typische Dorfschule in den 1950er-Jahren. Es gab nur zwei Klassenzimmer an der Schule. In dem ersten Klassenzimmer waren die Klassen 1 bis 4 und in dem Zweiten waren die Klassen 5 bis 9. Alle wurden von nur einem Lehrer betreut und unterrichtet. Es herrschte dabei ein sehr strenges Regiment. Frechheiten, Prügeleien und ähnliche Delikte wurden sofort mit einem Rohrstock geahndet. Man überlegte sich genau, ob man den Lehrer unnötig reizte. In der heutigen Zeit kaum noch erlaubt und nicht mehr vorstellbar. Um es klar zu sagen, bei manchen Berichten in der Zeitung ist man schnell dabei, diese Bestrafungen wieder einzuführen (besonders hier in Berlin).
Die Schulzeit war wunderschön und dazu beigetragen hatte auch Gabi, meine erste große Liebe. Morgens bin ich dann bei ihr zu Fuß, ja wir mussten die 4 km zur Schule laufen, vorbeigekommen und habe sie zur Schule abgeholt und nach Schulschluss wieder nach Hause begleitet.
Ein besonderes Fest war es immer im Sommer, wenn im „Hotel Grüner Wald“ das jährliche Kinderfest veranstaltet wurde. Die Kapelle „Willy Röh“ spielte die Musik und unser Rektor und Lehrer der Klassen fünf bis neun brachten den anwesenden Müttern und Vätern einige Gesangseinlagen, bestehend aus deutschen Volksliedern. Vorher gab es einen Umzug durchs Dorf, mit Blumengebinden, Blumenstöcken und Willy voran mit seiner Blaskapelle.
Meine Mutter hatte mir rechtzeitig das Tanzen beigebracht und wenn ich ehrlich bin, war es genau das Richtig für mich. So konnte ich mit Gabi gerne tanzen und noch heute erinnere ich mich an das Kitzeln von ihrem Wuschelkopf auf der Wange beim Tanz. Sie hatte einen wunderschönen Wuschelkopf und ich war darin richtig verliebt. Leider trennten sich unsere Wege nach dem vierten Schuljahr. Bei der Prüfung zur Aufnahme in die Realschule in Barmstedt war ich leider krank und ich machte die Prüfung im nächsten Jahr aus der fünften Klasse. Als ich dann in der Realschule ankam, war Gabi nicht an der Bismarck Realschule da. Sie hatte wohl die Aufnahme an das Gymnasium geschafft und das war an einem anderen Ort. Später habe ich das Lied von Peter Cornelius öfter im Auto gehört, wenn ich durch Voßloch fuhr, „Du entschuldige i kenn’ di’, bist du net die Kleine , die ich in der Schul …..“. Wenn ich heute das Lied „Jugendliebe“ von Ute Freudenberg höre, dann kommen die Erinnerungen wieder an diese Zeit zurück. Schöne Erinnerungen an die Schulzeit und an die erste große Liebe sind heute noch nach über sechzig Jahren präsent. Mein gleichalterige Freund Michael bat mich nach dem Lied „Für Gabi tue ich alles“, um es als Geburtstagsgeschenk an eine alte Freundschaft zu überreichen. Also suchte ich bei YouTube das Lied, wurde schnell fündig und schon waren die Erinnerungen an die Schulzeit wieder da.
Opa Preuß und Hulda
Unsere direkten Nachbarn waren Opa Preuß und seine neugierige Hulda. Wir machten uns manchmal den Spaß und taten auf dem Hof so, als ob etwas Wichtiges passiert sei. Kaum waren wir lauter als sonst, stand Hulda am Fenster und schaute so, wie Hubert immer sagte, wie eine Kuh, wenn’s blitzt. Aus heutiges Sicht ein völlig harmloser Scherz.
Opa Preuß hatte eine richtige Tischlerei und sägte uns entsprechende Leisten zurecht, um einen Drachen zu bauen. Er war schon aus unsere Sicht uralt. Opa Preuß hatte einen Sprachfehler, er stotterte ganz fürchterlich. Wir wagten es niemals ihn nachzuahmen, es hätte bestimmt schreckliche Folgen gehabt. Wenn die Uhr um Zwölf schlug und du es gemacht hättest, dann würdest du ebenfalls für immer stottern.
Ein Blick durch die Hecke zum Garten war einmal ein besonderes Erlebnis. Hulda und Opa Preuß arbeiteten im Garten und Hulda sabbelte laufend so, mach mal dies, mach mal das, so ist es nicht richtig und hörst du mir überhaupt zu? Opa Preuß holte mehrmals tief Luft und sagte dann „ hohl ..hohl..hohl..hohl dien Muhl“. (Hochdeutsch: halt dein Maul). Das war so komisch, dass wir noch Jahre später diese Situation immer wieder erzählten. Opa Preuß hatte auch ein richtiges Schaf. Dieses pflockte er am Straßenrand an und ließ es da grasen. Nach ein paar Stunden wurde der Pflock einfach ein paar Meter weiter gesetzt. Keine wagte es, das Tier anzufassen, außer mein bekloppter Stiefbruder Peter. Mußte er doch dem armen Tier mit etwas auf den Kopf schlagen. Das arme Schaf blutete etwas und dem Peter ging es hinterher auch nicht besser, denn Opa Preuß konnte auch ziemlich böse und handgreiflich werden. Seine Beschwerde über diese Behandlung war bei unserem Hubert genau das Richtige. Schade um jeden Schlag, der vorbeiging, war sein einziger Kommentar. Hubert hat uns drei Jungs niemals geschlagen!!!
Hannes der Gröhlmoors und seine Töchter
Gröhlmoors ist auf Hochdeutsch einen Mensch, der immer laut herumgrölt. Ein Puschelmoors ist dagegen eine Hummel, weil sie auch Haare am Hintern hat.
Hubert mußte auch oft den Trecker von Hannes reparieren. Der Bauernhof mit seinen Ländereien war am Anfang der Waldstraße. Hannes hatte drei Töchter, einmal Ulla, die älteste. Ulla kam immer nur im Sommer zur Erntezeit nach Hause. Sie war im Kloster und war eine richtige Nonne, mit einem Zopf zum Kranz gebunden und unheimlich nett zu uns. Da wir zu dieser Zeit immer Hunger hatten, wurden wir von Ulla, Gertrud und Hannah heimlich mit selbst gebackenem Brot versorgt. Gertrud war bereits im heiratsfähigen Alter und man konnte sagen, dass sie eine wirkliche schöne junge Frau war, freundlich und uns immer zugetan. Sie zog dann aus und kam leider nur manchmal zu Hilfe nach Voßloch. Der richtige Kumpel war aber Hannah. Sie war nur ein, zwei Jahre älter als ich. Wie hatte Hannes immer zu Hubert gesagt, du hast ein Glück mit drei Jungens, ich habe leider nur drei Mädchen. Meiner Meinung nach war es gut so, ich hätte meine beiden jüngeren Brüder gerne gegen zwei Mädchen, wie Gertrud und Hannah, eingetauscht.
Auf dem Bauernhof gab es viel zu tun. Wir konnten auf dem ollen Zossen reiten. Ein Pferd mit Socken an den Hufen, gutmütig und ein richtig ruhiges Pferd. Einmal saßen wir drei Jungens auf ihm, um auf der Wiese zu reiten. Was macht da mein mittlere Blödmann. Er haut dem Zossen die Hacken in den Bauch und schreit „los Furry“. Das Ergebnis war, dass drei Trottel im hohen Bogen vom Pferd fielen. Der Spitzname für ihn war Purzel. Einmal haben wir die Kälber im Stall gefüttert und der Gang war wirklich etwas schmal und was sagt Purzel: „. Kälbchen, ich heiße Purzel, ich tu’ dir nichts“. Man, war das peinlich. Das hat sich bis heute leider nicht mehr geändert. Der Kleine, er sollte nach dem Wunsch unserer Eltern eigentlich ein Mädchen werden. Also haben wir ihn Olga umgetauft und fertig war die Laube. Leider ist er im November 2022 nach kurzer Krankheit verstorben. RIP Olga. Mach es gut im Himmel und grüße unsere Eltern recht herzlich.
Hannah musste abends die Kühe mit der Melkmaschine melken. Die Technik war noch nicht so gut und man mußte die Kühe anschließend von Hand nach melken. Ich habe dabei Hannah gerne geholfen, es war ganz einfach, man mußte nur darauf achten, dass die Kuh dir nicht den Schwanz um die Ohren haute. Der Lohn für diese Hilfe bestand aus einer Kanne voll frischer Vollmilch. Schnauzi hat sich immer darüber gefreut. Sie hat den Rahm abgeschöpft und die Milch uns zum Trinken gegeben.
Im Sommer habe ich gerne bei der Kornernte geholfen. Hannes hat mit dem Trecker und dem Selbstbinder das Korn geschnitten und zu Bündeln gemacht. Wir haben dann diesen Hafer, Roggen und Weizenbündel zu Hocken aufgestellt, damit das Korn trocknen konnte, bevor es in der Scheune gedroschen wurde. Den Geruch von dem frischen Hafer und Roggen habe ich noch heute im Gedächtnis. Auch das Knabbern an den Ähren war immer eine schöne Erinnerung. Wenn das Korn trocken war, kam der Zossen mit dem Leiterwagen zum Einsatz. Die Bündel aus dem Hocken wurden vom Knecht und Gertrud oder Hannah mit Gabeln auf den Leiterwagen gebracht und von Hannah ordentlich gestapelt. Meine Aufgabe war es, die paar Meter mit dem Zossen den Wagen weiterzufahren. Spannend war es für mich bei der Heuernte oder der Rübenernte mit dem Zossen zu helfen. Allein die Fahrt zu den Wiesen im Bast mußte ich mit dem Leiterwagen und dem Zossen einmal durchs Dorf fahren.
Im Herbst war es die Zeit für die Kartoffelernte. Die Kartoffeln wurden von Hannes mit dem Trecker und dem Kartoffelpflug ausgegraben. Wir alle sammelten die Kartoffeln in großen Körben auf. Es gab einen Bon für jeden vollen Korb, der dann abends in Geld ausbezahlt wurde. Allein am Abend das Kartoffelfeuer zu erleben, war immer ein besonders schönes Erlebnis. Wir rösteten Kartoffeln auf einem Stock aufgespießt am Feuer. Es gibt keinen besseren Geschmack als diese am Feuer gerösteten Kartoffeln. Wer das selbst mal erlebt hat, weiß, wovon ich spreche.
Im Herbst waren dann auch die Rüben reif und wurden ausgezogen, von Hand abgeklopft und in Reihen so gelegt, dass man das Kraut mit einem scharfen Spaten abstechen konnte. Da es bei uns öfter mal Rübenaus gab, war es meine Aufgabe zum Feld herüberzugehen und eine passende Rübe zu suchen und Schnauzi zum Mittagessen zu bringen. Man konnte nicht jede Rübe nehmen und daher hatte ich vorher schon mal bei den essbaren Rüben einen Stock gesteckt. So brauchte ich bei der Kälte nicht lange suchen. Hannes hat das gewusst und tat so, als ob er gar nichts bemerkte. Einmal kam Hannes am Zaun zu unserer Mutter und fragte: “Lieschen, weißt du, wann Hubert heute zu mir kommt?“ Mutter fragte mich, wo Hubert jetzt ist und ich antwortete „auf dem Weg zum Gröhlmoors“. Meiner Mutter war es sehr peinlich, aber Hannes sagte nur, ich kenne meinen Spitznamen, den hat Hubert mir gegeben und dann lachte er. Ja, so war der Gröhlmoors eben, uns gegenüber immer sehr zugetan und seine Töchter waren es auch. Es war eine wunderschöne Zeit auf dem Bauernhof und ich verspüre immer noch eine große Zuneigung gegenüber Hannes und seinen Töchtern.
Bäckerei und Konditorei Sass
Im Winter war im Dorf nicht viel los, aber man brauchte eine Beschäftigung. Hier kam das Angebot vom Bäcker Sass sehr gelegen. Der Backofen wurde mit Briketts geheizt und es mußte öfter mal ein paar Briketts nachgelegt werden. Damit er sich die Hände nicht schmutzig machen wollte, mußte ich die Briketts in Zeitungspapier einwickeln und vor dem Feuerloch aufstapeln. Es war schnell erledigt und nun durfte ich nach gründlichem Händewaschen in der warmen Backstube mithelfen. Da Opa Sass, er war schon sehr alt und wurde im Dorf nur so genannt, noch alles nach alter Tradition backte, war es eine richtige Handarbeit den Teig für das Brot und den Brötchen zu kneten. Er hatte eine elektrische Knetmaschine, aber das Brot und die Brötchen wurden von Hand geknetet und zum Brot und Brötchen geknetet und geformt. Für die Brötchen hatte er eine Art Stanzmaschine und anschließend wurden die Brötchen von Hand geknetet und dann auf einem langen schmalen Brett gelegt. Dieses Brett mit den Brötchen wurde dann vorsichtig in den Backofen geschoben, mit einer leichten Drehung des Brettes waren die Brötchen im Backofen. Als sie fertig, braun und lecker knusprig waren, holte er diese mit einem Rechen aus dem Ofen und gab sie in einen großen Korb. Nun begann meine Arbeit damit, dass ich diesen Korb mit den lecker duftenden Brötchen in den Laden brachte. In meiner Jugend war es noch üblich, dass am Samstagnachmittag um vier Uhr noch einmal frische Brötchen gebacken wurden. Also standen schon die Kunden im Laden und warteten auf das frische Brot und die Brötchen. Mein Lohn bestand immer in einer großen Tüte mit frischen Brötchen. Schnauzi hat sich immer sehr darüber gefreut und sich dann zum Abendbrot ein frisches Brötchen gegönnt.
Eine besondere schöne Arbeit war, dass ich die Kuchenbleche säubern mußte. Der Rand war immer so 2 cm breit und dieser mußte mit einem Messer abgeschabt werden. Diesen braunen Kuchenrand sollte ich seiner Jolanthe geben. Da sie genug bekam, habe ich mit Erlaubnis vom Opa Sass den Kuchen mit Jolanthe geteilt. Es wurde dann eine zweite große Bäckertüte mit Kuchenrandstücken mit nach Hause gebracht. Schnauzie hatte sich auch immer über den Kuchen für die Familie gefreut. Geld war in der Zeit knapp und Kuchen gab es so seltener. Wenn sie einen Kuchen fertig gerührt hatte, wurde dieser Kuchen zu Opa Sass zum Backen gebracht. Das Backen kostete eine Mark und es wurden von etlichen Dorfbewohnern ebenso gehandhabt.
Einmal sollte ich auch Brötchen kneten und was kam dabei raus. Der Teig klebte mir in der Hand und den Fingern. Lass mal deine Hand sehen, ach ja, du hast da Haare in der Hand, damit kann man keine Brötchen kneten. Dass die Hände vorher mit Mehl bestäubt sein müssen, hat der Scherzkeks mir nicht gesagt. Als Trost habe ich ein Stück Persipan (Bäcker-Marzipan) bekommen und nun war alles wieder gut. Rosinen gab es auch und davon durfte ich manchmal naschen. Heute weiß ich, dass Opa Sass einfach einen Menschen in der Backstube brauchte, mit dem man reden kann. Er war wohl etwas einsam, so allein den ganzen Tag und hat mir viele Geschichten aus der Kriegszeit erzählt. Es war eine schöne Zeit in der Backstube und ganz besonders in der Weihnachtszeit.